Über mich

Melanie Rienzner

Nachdem mein Webdesigner mir sehr hartnäckig nahelegte, dass ich die Rubrik „über mich“ auf keinen Fall auslassen darf, sitze ich nun folgsam an meinem PC und versuche etwas über mich zu schreiben.

Ich war schon immer daran interessiert, mich persönlich weiterzuentwickeln und ein „besserer Mensch“ zu werden, beziehungsweise, der bestmögliche, der ich sein kann. Um dies zu erreichen (und glauben Sie mir, es gibt immer noch sehr viel Luft nach oben) halte ich es für unumgänglich, mich selbst zu reflektieren und mein eigenes Denken und Tun immer wieder erneut zu hinterfragen. Aufgewachsen bin ich, gemeinsam mit meinem Bruder, bei meiner psychisch kranken Mutter (paranoide Schizophrenie). Dadurch war ich schon sehr früh gefordert, mir selbst ein Bild von einer Situation zu machen und nicht blindlings auf die Wahrnehmung anderer zu vertrauen. Im Grunde hat sie mir damit – wenn auch unbeabsichtigt – eine gute Lehre erteilt.

Mein Berufsleben war sehr vielseitig. Angefangen habe ich in den Bereichen Buchhaltung und Sekretariat, bin dann als Sprecherin und Redakteurin zu einem privaten Rundfunksender gekommen und habe mich anschließend mit einer Werbe- und Eventagentur selbständig gemacht. Nach Niederlegung dieses Gewerbes drückte ich erneut für drei Jahre die Schulbank und machte dann, im Alter von 40 Jahren, den Abschluss zur Dipl. psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflegerin. Nach 4 Jahren in der Einzelbegleitung von Alkoholkranken Menschen übernahm ich nahm einem Jahr als Teil des Teams 2017 die Stationsleitung dieser Pflegestation für Sucht- und Psychisch Kranke Menschen. Diese Tätigkeit legte ich im Juli 2023 nieder, um mich nun ganz dem zu widmen, meine Erfahrungen in Workshops, Seminaren und Vorträgen weiterzugeben.

In der Pflege gehört das Beobachten zu den wichtigsten Disziplinen überhaupt. Wenn ein Patient Symptome aufweist, dann sollte man nicht einfach sagen, dass er „irgendwie schlecht“ ausschaut oder man ein „mulmiges Gefühl“ hat, sondern man muss dazu in der Lage zu sein, das Beobachtete genauestens wiederzugeben. Das klingt dann beispielsweise so: „Der Patient XY hat eine blasse Gesichtsfarbe und ist kaltschweißig. Er selbst gibt an, Schwindelgefühle zu haben, zeigt sich jedoch allseits orientiert. Sein Blutdruck ist 100/85 und sein Puls 110…“. Es ist oft eine große Herausforderung für uns Pflegende, nicht zu interpretieren, sondern wirklich genau das wiederzugeben, was wir beobachtet haben. Aus diesem Grund habe ich schon lange – quasi als Reminder - auf unsere Pinnwand im Pflegestützpunkt einen Ausdruck mit folgenden Worten gehängt: „beobachten statt bewerten“.

So habe ich mich immer öfter gefragt, ob es nicht bereichernd sein könnte, diese Einstellung auch außerhalb meiner Profession zu schulen, und auch, ob es sich nicht überhaupt zu meiner neuen Haltung entwickeln könnte. Wie würde sich mein Leben anfühlen, wenn ich zu einer Beobachterin dessen würde, was mir im Außen begegnet, anstatt ständig alles nach den üblichen Kriterien zu bewerten. Kriterien wie „gut oder böse“, „glücklich oder traurig“, „sympathisch oder unsympathisch“, „mutig oder feige“, „stark oder schwach“ und vieles mehr.

Woher kommt eigentlich unser Automatismus, ständig alles zu bewerten? Was bemächtigt uns dazu, dass wir vieles, was uns begegnet, in bestimmte Kategorien einteilen? Und warum haben wir stets das Gefühl, im Recht zu sein? Ich war schon oft (und bin es leider manchmal immer noch) ohne jeglichen Zweifel davon überzeugt, dass meine Wahrnehmung die einzig Richtige ist.

Doch je mehr ich an mir selbst zu arbeiten begann, mein Denken und Handeln hinterfragte, anderen Menschen Raum geben wollte, mir ihre Sichtweisen näher zu bringen, desto weniger ließ sich das mit meiner bisherigen Weltanschauung vereinbaren. Ich musste lernen, dass es immer mehrere, oft gleichberechtigte Perspektiven auf ein und dieselbe Sache gab. Ich durfte erkennen, dass wir, je nach persönlichen Erfahrungen, sozialem und kulturellem Umfeld, sowie beeinflusst von der eigenen momentanen Stimmung auf eine Situation schauen. Unsere Wahrnehmung kann also am nächsten Tag eine komplett konträre sein, nur weil wir uns am Abend zuvor unsterblich verliebt haben. Plötzlich wird die Welt bunter, die Menschen liebenswürdiger und unser Arbeitsplatz zu einem Ort der Freude.

Wenn meine Stimmung also so einen großen Einfluss darauf hat, wie ich eine Situation einordne oder in Kontakt gehe zu den Menschen, bin ich dann überhaupt jemals neutral gewesen? Und kommt es nicht eher darauf an, wahrzunehmen, was eine Situation mit mir macht, anstatt diese zu bewerten? Ist das Außen nicht gewissermaßen ein Spiegel, eine Reflexion meines Innersten in mein Blickfeld außerhalb meiner Person, weil ich nicht in der Lage war, in mich selbst hineinzuschauen? Und, kann es mir nicht helfen, mich selbst besser kennenzulernen, wenn ich mich, anstatt auf das zu zeigen, was ich wahrnehme, immer darauf konzentriere, was es mit mir macht?

Melanie Rienzner, fotografiert von der Seite auf einem Baumstamm sitzend

Vielleicht ist dies nun ein ungewöhnlicher und langer „über mich“ Text geworden, doch fände ich es langweilig, hier einfach nur meinen Lebenslauf anzuführen. Ich mag gerne was man zwischen den Zeilen findet und hoffe, dass auch Sie hier etwas – vielleicht eine kleine Inspiration – für sich entdecken konnten.

Aus meiner bisherigen Erfahrung darf ich jedenfalls verraten: Umso mehr ich damit aufhöre zu bewerten und stattdessen in die Rolle der Beobachterin wechsle, desto interessanter wird mein Leben. Es bietet jeden Tag neue Möglichkeiten zu lernen, zu wachsen und mich weiterzuentwickeln. Und Entwicklung ist, aus meiner Sicht, der wahre Sinn des Lebens.

"Wer immer nur das macht, was er schon kennt, bleibt auch immer nur das, was er schon ist."